12. Seminar: Kritik des Geldes und der Geldkritik

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Der Einladungsflyer inkl. technischer Hinweise als PDF-Datei.

Geld regiere die Welt trichtert uns der so genannte Volksmund von klein auf ein und erklärt auf diese Weise die unterschiedlichsten Missstände an allen Ecken und Enden unserer Welt hinfort. Meint dieser Spruch möglicherweise das Gleiche, wie der Satz aus dem Kommunistischen Manifest: »Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat … kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose ›bare Zahlung‹«? Oder lässt die Fixierung auf den Fetisch Geld den genaueren Blick auf die konkreten Verhältnisse dahinter überflüssig scheinen? Und stimmt diese Behauptung über das »Regieren« so überhaupt?

Und angenommen, dem wäre so, bliebe immer noch die Frage nach dem warum zu klären.

Um sich der Beantwortung dieser Fragen anzunähern, soll zuerst ein Überblick gegeben werden, welche höchst unterschiedlichen Formen und Funktionen Geld in den bisherigen Phasen der Menschheitsgeschichte bereits innegehabt hat. Und darüber hinaus, in welchem Zusammenhang diese Formen und Funktionen wiederum mit den jeweiligen Produktionsverhältnissen standen und stehen. Wurde Geld in früheren Epochen als Mittel der Schatzbildung oder als Zahlungs-/Austauschmittel benutzt – dann meist in Form von Metallen oder Nahrungsmitteln als Naturalformen – hat es nach Marx mit der Entstehung des Kapitalismus und der »Klassenherrschaft der Bourgeoisie« (s. o.) eine gänzlich neue, zusätzliche Funktion erhalten: Als sich (scheinbar) selbst vermehrender Wert, als Geld heckendes Geld, als Kapital, als automatisches Subjekt. Der Wert wird »das Subjekt eines Prozesses, worin er unter dem beständigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine Größe selbst verändert, sich als Mehrwert von sich selbst als ursprünglichem Wert abstößt, sich selbst verwertet. Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier.« (MEW 23, S. 168f.)

Eine genauere Betrachtung des Geldfetischs möchten wir in unserem Tagesseminar am 10. November 2012 anstellen und sie gleichzeitig als Ausgangspunkt nehmen zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Banken und des Bankenkapitals (nicht nur) innerhalb der aktuellen Finanzkrise. Für die Kritik der Politischen Ökonomie gehören allerdings Warenproduktion, Zirkulation und Finanzkapital zu einem unauflöslichen Zusammenhang von Ausbeutung. Reduziert man die kapitalistische Produktionsweise auf die »Herrschaft des Geldes«, dann sind Schuldzuweisungen gegenüber den Banken und Personalisierungen (wie »die Ackermänner«) die unvermeidliche politisch reaktionäre Folge, z. B. bei Occupy Germany: »Das korrupte amerikanische Finanzsystem ist ein Krebsgeschwür, das die gesamte westliche Welt befällt. Die Politik schaut tatenlos zu, wie ganze Staaten von kriminellen Spekulanten regelrecht hingerichtet werden.« Wie wenig sinnvoll derartige Reaktionen auf die konkrete Misere namens Realität im Endeffekt sind und wie wenig sie mit den tatsächlich ablaufenden Mechanismen der Gesellschaften, in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht zu tun haben, diesen Themen möchten wir dann im zweiten Teil des Seminars nachgehen und die fetischisierte Betrachtung des Geldfetisch – in seinen verschiedenen regressiven, antisemitischen oder reformistischen Erscheinungsformen (David Graeber: »Ob das Geld jemals ganz verschwinden wird, wer kann das sagen? … Es ist schwer, sich eine komplexe Weltgesellschaft vorzustellen, in der bestimmte unterschiedliche Werte oder Arbeitsleistungen nicht über Geld miteinander vermittelt werden.«) kritisch dekonstruieren.

Selbstdarstellung

Kontakt: kdpoe_koeln@gmx.de

Deutungspotentiale der marxianischen Theorie heute

Oder: Warum gibt es die Projektgruppe »Marxismus und Kritik der Politischen Ökonomie« Köln?

Marx-Renaissance dank Weltwirtschaftskrise?

»Marx ist tot, Jesus lebt« rief 1989 der CDU-Arbeitsminister Norbert Blüm vor den Toren der Danzinger Werft, in der Solidarnosc entstanden war und begrub einen vorschnell Totgesagten.

Im Zuge der Finanzkrise setzte eine Art Marx-Renaissance ein. Das Interesse an der Marxschen Analyse hat durch die angeschlagene Ökonomie und die globalen Krisenerscheinungen auch quantitativ messbar zugenommen: Seit 2008 ist die Auflage der drei Bände des »Kapital« beim Dietz-Verlag rasant angestiegen. 80 Prozent der BRD-Bevölkerung halten die gegenwärtige marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung selbst laut prokapitalistisch angelegter Umfragen für ungerecht.

Mit der an Marx angelehnten Kritik der Politischen Ökonomie[1] können die grundlegenden ökonomischen Mechanismen der Weltwirtschaftskrise erklärt werden und natürlich ist das ein Hauptgrund für seine neue Relevanz.

Es wird immer offenkundiger, dass der Kapitalismus strukturell nicht dauerhaft funktioniert und nicht für jedeN Arbeit und Einkommen bieten kann. Man kann zwar auf Eigentum spekulieren, man kann auf die Tendenzen des Marktes spekulieren, aber wir sind gerade über den Punkt hinaus, an dem deutlich geworden ist, dass die ökonomische Entwicklung nicht mehr voraussagbar ist und wohin sie führt (»Der technische Unfall ist der wirtschaftlichen Krise, die wirtschaftliche Krise ist dem technischen Unfall nicht ganz unverwandt.« Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 811).

Es gibt eine Krise im Kapitalismus, es gibt eine Krise des Kapitalismus und es gibt eine allgemeine, darüber hinausgehende Wahrnehmung von der Krisenhaftigkeit unserer gesamten Gesellschaftsordnung – weil die Frage unbeantwortet bleibt:
Wie wollen wir künftig leben? In welcher sozialen und natürlichen Welt?

Was mit Hilfe der von Marx begründeten Methode – der materialistischen und historischen Dialektik – ebenfalls erklärt werden kann, sind die »mystifizierten« Beziehungen, die das hervorgerufen haben und die Einbildungen, die sich die Menschen darüber machen, das »notwendig falsche Bewusstsein« oder – wie Adorno es in der »Dialektik der Aufklärung« als Rückentwicklung der bürgerlichen Aufklärung in Mythologie nannte – den universalen Verblendungszusammenhang.

Marxianische Theorieströmungen – ein Kurzüberblick

Es wäre also an der Zeit, die Deutungspotentiale marxianischer[2] Theorieansätze neu kennen zu lernen und zu diskutieren.

Dabei geht es uns – der Projektgruppe »Marxismus und Kritik der Politischen Ökonomie« Köln, die sich mit dieser Aufgabe verstärkt seit 2009 befasst, in unseren Seminaren und Veranstaltungen (Themen waren u. a. Faschismusanalyse, Akkumulationsregimes, Geschichte der Klassenkämpfe, marxistische Grundbegriffe, Naturverhältnis, Dialektik, Utopien, sozialistische Ökonomiemodelle, Inklusion, Kritik des Geldfetischs und die Verschiebung der Kräfteverhältnisse zwischen den imperialistischen Zentren) nicht darum, sich einer bestimmten orthodoxen Sichtweise anzuschließen. Mensch kann Marx inzwischen offener lesen, ohne ständig den »real existierenden Sozialismus« im Hinterkopf zu haben, ohne die ganzen fraktionalisierten Interpretationen verschiedener Parteien und ohne die Kanonisierung der männlich geprägten traditionellen Arbeiterbewegung. Zudem gibt es Weiterentwicklungen der Kritik der Politischen Ökonomie, wie die Kritische Theorie oder die feministische Ökonomiekritik, die in unseren Diskussionen eine Rolle spielen sollen.

Aus der Rezeptionsgeschichte von Marx hat sich ein Bündel von Denkrichtungen entwickelt. Wir haben die Auswahl zwischen

  • sozialdemokratisch-leninistischem Ökonomismus (für einige bereits bei Engels beginnend – Bernstein/Kautsky, Gramsci, Haugg, Lenin und seine Epigonen),
  • dem Marxismus der so genannten räteorientierten »linken Arbeiteropposition« (Luxemburg, Lukacs, Pannekoek usw.), und dem auch daraus entstandenen
  • »Operaismus« (Tronti, Negri/Hardt, Agamben, aber auch Hartmann), der die Rolle der Subjektivität stärker betont.
  • Es gibt stärker akademisch-universitär kontextualisierte Theoriestränge wie

– den strukturalistischen Marxismus (Althusser, Balibar/Wallerstein, Poulantzas),

– den diskurstheoretisch beeinflussten (Chantal Mouffe, Slavoj Zizek, Alain Badiou, Ernesto Laclau) und

– die Werttheoretiker (Krisis-Gruppe, Exit/Robert Kurz), die die Denkformen unmittelbar aus der Warenlogik ableiten, das Politische eher missachten.

Aufgrund der einflussreichen sozialen Bewegungen wurde seit den 1980ern verstärkt versucht, Fragen des Naturverständnisses und der Ökologie mit einzubeziehen. Hier wäre u. a. Jutta Ditfurth zu nennen. Schlüsselsatz ist eine berühmte Passage bei Marx (MEW 23, S. 530): »Indem die kapitalistische Produktionsweise, die beiden einzigen (Spring)Quellen des Reichtums, die menschliche Arbeitskraft und die Natur für seinen Profit gnadenlos verwertet, beraubt der Kapitalismus sich tendenziell seiner eigenen Grundlage«. Diese zentrale Aussage über den unorganischen und den organischen Leib des Menschen (siehe »Grundrisse«, MEW 42) wurde von der an der Steigerung der Produktivkraft um jeden Preis orientierten ArbeiterInnenbewegung gerne unterschlagen.

Und auch der andere große »blinde Fleck« der Arbeiterbewegung, die Modernisierung des Patriarchats durch die kapitalistische Produktionsweise und durch die Lohnarbeit, wurde theoretisch im Kontext der feministischen Sicht auf die Kritik der Politischen Ökonomie aufgearbeitet, z. B. in den 1970ern/1980ern durch Rossana Rossanda und Frigga Haugg, heute durch Tove Soiland, Nancy Fraser und andere.

Gegenwärtig und international spielen die akademischen und gleichzeitig mit der politischen Praxis verbundenen Schattierungen der Regulationstheorie eine wichtige Rolle, die u. a. davon ausgeht, dass die Logik der kapitalistischen Produktionsweise ubiquitär alle gesellschaftlichen Bereiche durchzieht. Und die daher auch überall – z. B. im Stadtteil – kritisierbar und angreifbar ist. Die Regulationstheorie hat in spezifischer Weise die dogmatische Gegenüberstellung von Haupt- und Nebenwidersprüchen überwunden und taugt für die Begründung (manchmal aber auch nur zur Legitimation!) vielfältiger politischer Alltagspraxis. Hier wären zu nennen Joachim Hirsch, Elmar Altvater/Brigit Mahnkopf, David Harvey und Mike Davis. (Die männlichen Vornamen nehmen wieder zu!)

Schließen wollen wir diese kurze Genealogie durch den Hinweis auf die besonders einem antiautoritär-philosophischen Marxismus verpflichteten (sich stark auf die Frühschriften von Marx-Engels beziehenden) Bloch, Adorno/Marcuse und Dutschke/Krahl – bei denen sich unsere Projektgruppe besonders heimisch fühlt – auch wegen ihres utopischen Gehalts und des Blicks auf die Latenz eines anderen Lebens, das im unmittelbaren Alltag angelegt ist – im »Dunkel des gelebten Augenblicks« (Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 343ff).
Oder, wie es in einer berühmten Passage der Kritischen Theorie heisst: »Im Innersten wissen alle Menschen, ob sie es sich zugestehen oder nicht: Es wäre möglich, es könnte anders sein. Sie könnten nicht nur ohne Hunger und wahrscheinlich ohne Angst leben, sondern auch als Freie leben. Gleichzeitig hat ihnen gegenüber, und zwar auf der ganzen Erde, die gesellschaftliche Apparatur sich so verhärtet, dass das, was als greifbare Möglichkeit, als die offenbare Möglichkeit der Erfüllung ihnen vor Augen steht, ihnen sich als radikal unmöglich präsentiert« (Theodor W. Adorno).

Natürlich muss mensch sich – egal welcher Strömung er/sie zugeneigt ist – davor hüten, allzu platte Analogien zu machen oder über die typischen Stolpersteine der verkürzten Kapitalismuskritik zu purzeln. Die da sind

  1. der Glaube, dass die Lösung in der Rückkehr zum direkten, freien Tausch liegen könne (wir werden alle wieder isolierte WarenproduzentInnen und erfinden den Markt neu – siehe die ökonomischen Vorstellungen der Piratenpartei oder von anarchistischen Kleinprojekten);
  2. die Unterscheidung zwischen dem destruktiven bindungslosen zinsheckenden, spekulativen Bank-Kapital und dem produktiven, Gebrauchsgüter herstellenden Kapital (wie die AnhängerInnen der »Heuschreckenkritik« von attac bis Linkspartei, aber auch der »autonomen Nationalisten« oder von Alain de Benoist);
  3. die personalisierte, moralisierende Kapitalismuskritik, die in der Gier der Manager, der Selbstsucht des Menschen oder in anderen esoterischen oder antisemitischen Schuldzuweisungen das Übel sieht (wie occupy oder die GesellianerInnen);
  4. die Gegenüberstellung des »guten« wohlfahrtstaatlichen keynesianistischen (rheinischen) mit dem »kalten« neoliberalen (US-)Kapitalismus eines Hayek (in den Gewerkschaften oder bei Grünen a la Joschka Fischer verbreitet);
  5. die Abwesenheit der Kategorie Geschlecht in ökonomischen Analysen und damit u. a. der unbezahlten Reproduktionsarbeit (allerorten!).

Wo stehen wir?

Wir sind heute an einem zugespitzten Zeitpunkt der menschlichen Geschichte angelangt. Die bisher höchste Produktivkraftentfaltung und die potentiell mögliche kosmopolitische Weltgesellschaft und -kommunikation fallen zusammen mit der höchsten Entwicklung von technischer Destruktivkraft und einer zugespitzten Verelendungs- und Entwertungstendenz für einen Großteil der Menschen. Klimawandel, Überschwemmungen, Artensterben, neue Krankheiten, sinkende Lebenserwartung für heutige Jugendliche; seit 2008 lebt eine Mehrheit der Menschen in Slums.

Aber es gibt Anzeichen, dass sich überall auf der Welt die Erkenntnis durchzusetzen beginnt, dass das System der Belohnungen, die der Kapitalismus anbietet – der Konsumismus und das Eigentum, die Möglichkeit für einen Teil der LohnarbeiterInnen und der Armen, andere zu beherrschen (z. B. innerhalb von patriarchalen Familien) – einfach nicht funktioniert. Entweder du kriegst die Belohnung überhaupt nicht, weil du zu wenig Geld hast oder du willst sie nicht, weil sie dich persönlich nicht oder nicht mehr befriedigt, weil sie eben nicht hinreichend ist für ein gehaltvolles und humanes Leben. Die soziale Spaltung wird immer deutlicher und immer weniger tolerierbar.

Das »working subject« ist nicht verschwunden oder in einer konstruierten Multitude aufgegangen. Die elementaren sozialen Schichtungen sind im Großen und Ganzen so geblieben, wie Marx sie beschrieben hat. Die meisten Menschen müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben, und wenige verfügen über Kapital. Es gibt vielleicht ein Problem mit den Begrifflichkeiten und unterschiedlichen auf Marx referierenden Theorieansätzen, die das Problem beschreiben. Aber die Sachlage hat sich eher – auch global gesehen – zugespitzt.

Inzwischen gibt es (international) eine Generation von technisch fähigen, gebildeten jungen Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gebraucht werden. Der Kapitalismus will diese Leute auch nicht mehr unterstützen, weder über den Wohlfahrtsstaat noch über die Arbeitslosenhilfe. Auch in den Ländern Nordafrikas gibt es immer mehr junge qualifizierte Menschen, die keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben und die gegen ihren Ausschluss protestieren. In der EU wird in verschiedenen Ländern (z Zt. etwa in Spanien oder Griechenland) versucht, die Arbeitsrechte so zu unterminieren, dass BerufseinsteigerInnen wie vogelfreie PraktikantInnen entlohnt und gefeuert werden können.

Um das heutige »working subject« zu verstehen, müssen wir zunächst unsere Definition von ArbeiterIn weiter fassen. Die klare Unterscheidung zwischen jenen, die Lohnarbeit im Sinne der unmittelbaren Beteiligung an industrieller Güterproduktion verrichten und denen, die das nicht tun, verschwimmt vielerorts.

Gender is it!

Die Unterwerfung der Welt unter die »Diktatur des Profits« (Viviane Forrester) führt dazu, dass alle Tätigkeiten und Menschen, die nicht »produktiv« sind, zurück zu stehen haben: Pflege, Erziehung, Bildung, Kultur, Umgang mit Natur, Kindern, Kranken, Alten. Die »scheinbar geschlechtsneutralen Prinzipien der Leistung, Effizienz, Risikobereitschaft, Härte, Robustheit, des Wettbewerbs, der rastlosen Aktivität (sind konnotiert) mit der männlichen Position in der klassisch-bürgerlichen Arbeitsteilung« (Helga Bilden). Für die Verwertung des »Humankapitals« wird notwendig abstrahiert vom lebendigen Menschen und gleichzeitig seine umfassende Selbstaktivierung verlangt.

In den 1950er Jahren drängten Frauen in der BRD zum ersten Mal massiver auf den Lohnarbeitsmarkt (nach der erzwungenen Ausbeutungsphase der Kriegsökonomie des deutschen NS-Faschismus), ein Prozess, der im Grunde erst heute zum Abschluss kommt, da wir international annähernd eine Balance zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt erreicht haben. Als Frauen massenhaft Teile des Arbeitsmarktes wurden – über die speziellen Sektoren wie Textilproduktion usw. hinaus, in denen Frauen mit proletarischer Herkunft immer gearbeitet haben –, war weibliche Arbeit gekennzeichnet durch unsichere Bedingungen und schlechte Bezahlung. Es gab keine Arbeitsplatzsicherheit und eine geringere Bezahlung für gleiche Arbeit. Genau diese Arbeitsbedingungen sind heute allgemein durchgesetzt und haben im Grunde nichts Geschlechtsspezifisches mehr. Man könnte auch sagen: Der Kapitalismus hat gesehen, dass er die schlechte und asymmetrische Behandlung, die er Frauen zugemutet hat, genauso gut allen antun kann (Nina Power).

In den gegenwärtigen weltweiten Unmutsbekundungen sehen wir in der ersten Reihe eine hohe Präsenz oder sogar Dominanz von Frauen, die Besetzungen organisiert oder die Aktionen angeführt haben, ihnen ein Gesicht geben (siehe StudentInnenbewegung in Chile). In den meisten Medien werden diese AktivistInnen ignoriert oder es wird beständig versucht, weibliches Protestverhalten moralistisch abzuwerten oder zu naturalisieren. Es ist der endlose, immer wiederholte Versuch, weibliche politische Beteiligung zu limitieren, was im Grunde zurückgeht bis auf das Bild von der Sufragette und des Flintenweibs (auf Olympe de Gouges, Flora Tristan, Louise Michel, Alexandra Kollontai und Rosa Luxemburg), begleitet von – auch militanten – maskulinistischen Gegenreaktionen (Breivik).

Theorie- und epistemologische Bezüge

In unseren Seminaren geht es uns immer auch um die nötige Kenntnis von erkenntnistheoretischen Konzepten (u. a. Idealismus, Empirismus, Positivismus, Rationalismus) und der dialektischen Methode,

  • um die Ausprägung der Fähigkeiten zum Unterscheiden von Erscheinung und Wesen,
  • das Phänomen der Verdinglichung,
  • die Unterscheidung von Abstraktheit und Konkretheit und
  • das Verhältnis von Subjekt/Objekt
  • sowie um die Fähigkeit zur Unterscheidung von mikro-, meso- und makrosoziologischer Reflexionsebene.

Marx schrieb zu seiner Erkenntnismethode in der Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie (MEW 13, S. 631):

  1. »Vom Konkreten (Analyse des realen, chaotische unsortierte Vorstellung des Ganzen, Schein)
  2. zum Abstrakten (einfachste, allgemeine Begriffe)
  3. und wieder zurück zum Konkreten als Darstellung der Einheit des Mannigfaltigen.« (Synthese, reiche Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen)

Es geht ums Ganze

Wir leben in widersprüchlichen Zeiten.

Die Welt ist einerseits geprägt durch immer stärkere soziale und regionale Spaltungen, durch Verarmung und Entwer­tung der Menschen. Die deutschen Verhältnisse sind besondere, weil hier die sozialen und Klassenkämpfe unterentwickelt sind bzw. durch Korruption durch Konsum gedämpft sind. Woanders sieht das anders aus (Sahara/Marokko – Kampf der Frente Polisario; Griechenland, Spanien usw.). In Deutschland geht es z. Zt. noch weniger um ein Aufstandsszenario und eher um einen Kampf um kulturelle Hegemonie und die Schaffung von politischem Bewusstsein.

Wir hoffen, dass unsere Themen und Ansätze auch einen Horizont auf politisches Handeln wie von Hannah Arendt beschrieben enthalten: »Keiner (kann) glücklich genannt werden …, der nicht an öffentlichen Angelegenheiten teilnimmt, daß niemand frei ist, der nicht aus Erfahrung weiß, was öffentliche Freiheit ist, und daß niemand frei oder glücklich ist, der keine Macht hat, nämlich keinen Anteil an öffentlicher Macht« (Hannah Arendt, Über die Revolution, S. 326f).

Und um mit einem Zitat über das mögliche Fernziel der Kritik der Politischen Ökonomie zu enden: »Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.« (Ernst Bloch, Prinzip Hoffnung, S. 1628)


[1] Sie ist – von Marx neu formuliert – die Wissenschaft von der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und der Gesetzmäßigkeiten, denen die Herstellung und die Verteilung der materiellen Güter in der menschlichen Gesellschaft auf ihren je unterschiedlichen historischen Entwicklungsstufen unterworfen sind.

In den ersten Kapiteln der »Deutschen Ideologie« (MEW 3, S. 20 bis 77) beschreiben Marx/Engels die Produktion materieller Güter als die naturnotwendige Grundlage des Lebens der Menschheit seit ihrer Morgenröte in der Wildheit, der Barbarei, der Urgesellschaft (»Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen Natur. … Alle Geschichtschreibung muß von diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen. … Man kann die Menschen durch das Bewußtsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.« A.a.O. S. 20/21). Die dazu nötige menschliche Fähigkeit ist die, planvoll und kooperativ Arbeit zu verrichten, BaumeisterIn zu sein, statt Biene (»Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut.« MEW 23, S. 193)

Neben einigen allgemeinen Voraussetzungen, die für jedes Produzieren in allen Gesellschaftsformen gelten (z. B. die menschliche Fähigkeit, mehr Lebensmittel – ein Mehrprodukt – herstellen zu können, als für die unmittelbare Reproduktion nötig ist; die Fähigkeit, kooperativ zu arbeiten usw.), gibt es besondere Gesetze, die nur innerhalb einer bestimmten historischen Produktionsweise gelten. Produktionsweisen können sich unterscheiden durch

(a) den Entwicklungsstand der Produktivkräfte (die menschliche Qualifikation, die Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel [Werkzeuge], die Produktionsverfahren) und

(b) die Produktionsverhältnisse, das sind die gesellschaftlichen Beziehungen und Verhältnisse, unter denen die gesellschaftliche Arbeit stattfindet – vulgo: Die Eigentumsverhältnisse und die Verfügungsgewalt über (a).

Die Produktionsverhältnisse bestimmen über die Art und Form der Verteilung (Distribution) der produzierten Güter. Die Produktionsweisen entwickeln sich und werden umgewälzt, indem die Produktionsverhältnisse an die Entwicklung der Produktivkräfte angepasst werden müssen. So wurde z. B. die im Feudalismus keimende kapitalistische Produktionsweise durch den merkantilistischen und absolutistischen Staat unterstützt. Der Staat und politische Institutionen sind die Katalysatoren und Organisatoren, die einem historischen Wechsel unterworfen sind. Der Wechsel findet nicht statt aufgrund von ehernen ökonomischen Gesetzen, sondern wird durch soziale Kämpfe beschleunigt und beeinflusst.

[2] wie es im angloamerikanischen Sprachraum in Abgrenzung von dogmatischen Interpretationen heißt

11. Seminar: Inklusion

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Einladung zum Seminar am 5. Mai 2012. (PDF, 113 kB)

Die Dialektik von Gleichheit und Differenz

 

Marx sprach davon, dass die bürgerliche Gesellschaft »alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört (habe). Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen.« Mit der kapitalistischen Moderne hielt eine große Vereinfachung Einzug. Noch einmal Marx: Es werde keine andere soziale Verbindung übrig gelassen als »das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung«.

Darauf basierend entstanden neue Spaltungen und Ungleichheiten, die oft an körperliche Merkmale gebunden wurden. Das war in der ArbeiterInnen- und sozialistischen Bewegung – bevor ihre Reduktion auf ein Arbeitskraftverkäuferkartell stattfand – so gegenwärtig, dass z. B. die SPD in ihrem Erfurter Programm von 1891 schrieb, sie kämpfe nicht nur »für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen« und bekämpfe »nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter«, sondern auch »für gleiche Rechte und gleiche Pflichten aller ohne Unterschied des Geschlechts und der Abstammung«. D. h. gegen »jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse.«

Wir haben also einerseits die für den Kapitalismus unvermeidliche sortierende und hierarchische Bewertung der Menschen, z. B. durch weltweit krass unterschiedliche Lohnniveaus, die profitorientierte Bewertung der Arbeitskraft als Humankapital; kranke und behinderte Menschen werden in »lebenswert« und »nicht lebenswert« eingeteilt und zu Objekten eines gesundheitsökonomischen Kalküls gemacht. Und andererseits gibt es die formale Gleichheit, die gelegentlich und/oder temporär – in Folge von sozialen Auseinandersetzungen durch soziale Gleichheitsaspekte (oder durch Antidiskriminierungsregelungen) vorübergehend »angereichert« sein kann. Dieses Verhältnis wird historisch ständig neu bestimmt.

Inklusion – ein schillernder und vielschichtiger Begriff

Den beiden Seiten dieses Prozesses – auf der einen Seite homogenisierende, die Individualität der/des EinzelneN entwertende Zwangsnormierungen, auf der anderen abwertende Verschiedenheiten und somatisierte gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse (Bourdieu) hervorzurufen – begegnen wir noch heute.

Gegenwärtig wird im Kontext der Inklusionsdiskussion »die Berücksichtigung von Vielfalt in ökonomischen Voraussetzungen, sozialer Zugehörigkeit, Ethnizität, Sprache, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung und Fähigkeiten« gefordert, also eine wertschätzende Semantik für das verwendet, was bisher als »anders«, »abweichend«, als defizitär definiert wurde. Zugeschriebene, stigmatisierende Merkmale (die von linker Seite aus zutreffend als z. B. Rassismus und Sexismus kritisiert wurden), werden zurzeit in vielen internationalen Dokumenten und Inklusions-Masterplänen positiv bewertet.

Emanzipation versus »Gouvernementalitätstauglichkeit«

Einerseits ist Inklusion eine Chiffre für umfassende Wertschätzung und Partizipation. Umfassende Inklusion enthält die Forderung nach Veränderung der bestehenden Institutionen gemäß der Bedürfnisse der Menschen in ihrer Vielfalt, statt – wie beim Konzept der Integration – ihre Anpassung an die bestehende homogenisierende Mehrheitskultur. Inklusion kann zu einer Neubegründung der Aufklärung auf linker sozialer Grundlage führen, zu einem humanen Menschenbild gegen die Entwertung und Kommerzialisierung des Menschen.

Andererseits wird die Berücksichtigung von Diversität, Heterogenität, Unterschiedlichkeit – insbesondere von weltmarktorientierten Großbetrieben – als moderne Wertschöpfungsmethode geschätzt und kanalisiert entwickelt. Denn die bestehende Ökonomie braucht eine immer stärkere Aktivierung der Menschen, einen gesteigerten Zugriff auf ihre subjektiven und seelischen Potentiale. Deshalb muss sie deren Einzigartigkeit stärker ausnutzen. Diversity Management versucht sie für den »Unternehmenserfolg« – d. h. für den Profit – nutzbar zu machen.

Ist Inklusion Kommunismus …

Kann der konsequente Anspruch auf egalitäre Vielfalt zur kämpferischen Befassung mit dem zerstörerischen und ausbeuterischen Charakter der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung führen? Liegt in der Diskussion um Inklusion ein emanzipatorisches Potential, das auch die Möglichkeit eröffnet, die verschiedenen gesellschaftlichen Widerspruchsachsen und Teilbereichsbewegungen zusammen zu bringen? Bringt die Diskussion um »Intersektionalität « für linke Politik eine theoretische Bereicherung und praxistaugliche Hinweise? Oder ist es nur eine schicke Neuauflage der alten »triple oppression«-Theorie, in der nicht mehr die Gesellschaftsformation oder Produktionsweise analysiert wurden, sondern alle Erscheinungsformen von Unterdrückung, Stigmatisierung und Ausbeutung in einen Topf geworfen wurden, bis alle Katzen grau waren und sich für das Verjagen des Köters Kapitalismus niemand mehr interessierte?

Ist von marxianischer, linker Seite aus bereits alles gesagt, wenn festgehalten wird, dass die Kategorien von Diversität unterschiedliche Prägetiefen haben und sich z. T. auch voneinander ableiten? Und dass insbesondere der sozioökonomische Status (im angloamerikanischen Raum »classism«) nach wie vor die entscheidende Bedeutung hat, wichtiger als z. B. Sprache oder »Machtdispositive«?

… oder ist Kommunismus Inklusion?

»Soziale Utopie ist, einen Zustand zu erreichen, in dem die Forderung nach Gleichheit überflüssig wird, weil der Mensch, der alle Möglichkeiten hat, sich in einem Gemeinwesen zu entfalten, nicht einem anderen gleich sein muss, sondern individuell so unterschiedlich sein kann, wie sie und er will.« (Jutta Ditfurth) Wie könnte ein solcher Zustand, eine dann vollständig inklusive Gesellschaft aussehen? Dazu finden wir Hinweise bei Marx: »Nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen, kann die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jede nach ihren Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen!«

Zeitplan

11.00 – 13.00 Uhr

(1) Die Entstehung des/der »AndereN« als Grundlage bürgerlicher Subjektbildung
(2) Abriss der Intersektionalitätstheorie und der linken Sortierung gesellschaftlicher Widersprüche

13.00 – 14.00 Uhr Mittagspause

14.00 – 15.30 Uhr

(3) Die Dialektik von Differenz und Homogenisierung in der Geschichte des Kapitalismus
(4) Emanzipatorischer Umgang mit Heterogenität oder Diversity Management – who wins?

15.30 – 16.00 Uhr Kaffeepause

16.00 – 16.30 Uhr

(5) Inklusion und die konkrete Utopie einer befreiten Gesellschaft

16.30 – 17.30 Uhr

– Gesamtdiskussion und theoretisch-praktische Folgerungen – für Politik und Erziehung
– Feedback und Ausblick auf Seminar Nr. 12

10. Seminar: Die wirkliche Bewegung

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Einladung zum Seminar am 22. Oktober 2011. (PDF, 174 kB)

»Die wirkliche Bewegung« – Andockstellen und Potentiale heute

 

Nach der Analyse der widersprüchlichen historischen und aktuellen weltweiten Entwicklung des Kapitalismus in den letzten beiden Seminaren fragen wir uns nun: Warum sehen die Menschen nicht die offenen Türen zu einer radikal humanen Gesellschaft – obwohl die Verhältnisse dafür herangereift sind? »Kommunismus – Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist«?! (Bertolt Brecht)

Wir sind heute an einem zugespitzten Zeitpunkt der menschlichen Geschichte angelangt. Die bisher höchste Produktivkraftentfaltung und die potentiell mögliche kosmopolitische Weltgesellschaft und -kommunikation fallen zusammen mit der höchsten Entwicklung von technischer Destruktivkraft und einer zugespitzten Verelendungs- und Entwertungstendenz für einen Großteil der Menschen. Klimawandel, Überschwemmungen, Artensterben, neue Krankheiten, sinkende Lebenserwartung für heutige Jugendliche, seit 2008 eine Mehrheit der Menschen in Slums lebend – stimmt es, dass »die ökologische Katastrophe nicht das ist, was kommt, sondern das, was bereits passiert«? (Unsichtbares Komitee)

Die Unterwerfung der Welt unter das Diktat des Kapitals führt dazu, dass alle Tätigkeiten und Menschen, die nicht »produktiv« sind, zurück zu stehen haben: Pflege, Erziehung, Bildung, Kultur, Umgang mit Natur, Kindern, Kranken, Alten. Die »scheinbar geschlechtsneutralen Prinzipien der Leistung, Effizienz, Risikobereitschaft, Härte, Robustheit, des Wettbewerbs, der rastlosen Aktivität (sind konnotiert) mit der männlichen Position in der klassisch-bürgerlichen Arbeitsteilung«. (Helga Bilden) Für die Verwertung des »Humankapitals« wird notwendig abstrahiert vom lebendigen Menschen und gleichzeitig seine umfassende Selbstaktivierung verlangt.

»Im Innersten wissen alle Menschen, ob sie es sich zugestehen oder nicht: Es wäre möglich, es könnte anders sein. Sie könnten nicht nur ohne Hunger und wahrscheinlich ohne Angst leben, sondern auch als Freie leben. Gleichzeitig hat ihnen gegenüber, und zwar auf der ganzen Erde, die gesellschaftliche Apparatur sich so verhärtet, dass das, was als greifbare Möglichkeit, als die offenbare Möglichkeit der Erfüllung ihnen vor Augen steht, ihnen sich als radikal unmöglich präsentiert« (Theodor W. Adorno).

Wo gibt es Andockstellen in der Realität, um »durch die gleichzeitig offenen und unsichtbaren Türen zu gehen« – weltweit z. B. der so genannte Sozialismus des 21. Jahrhunderts von Venezuela bis Uruguay, lokal im Kampf gegen zerstörerische Projekte wie Stuttgart 21 oder den Godorfer Hafen oder – massiver noch – oder gegen weiter laufende schwarz-gelb-grün-rote Atomanlagen?

Wo kann mensch überhaupt ansetzen, auch außerhalb der unmittelbaren Mehrwertproduktion in der klassischen Fabrik? Der Kapitalismus entwickelt unter dem Zwang zu seiner ständigen Modernisierung in verkehrter Form ein Potential für ein anderes Leben, das dialektisch-kämpferisch angeeignet werden könnte. Zum Beispiel:

  • Aufgrund der Produktivkraft- und Reichtumsentwicklung wäre eine schnelle Arbeitszeitverkürzung auf 20 Wochenstunden für alle locker möglich und ist im Kapitalismus herangereift. Weltweit gibt es stattdessen eine Intensivierung der Arbeit für die Einen bei gleichzeitiger Arbeitslosigkeit für die Anderen.
  • Das Kapital braucht eine immer stärkere Aktivierung der Menschen und ihrer subjektiven und seelischen Potentiale, will ihre Einzigartigkeit und Individulität stärker ausnutzen. Welcher Weg im Umgang mit dem Widerständigen und dem Selbst wird eingeschlagen – die Kanalisierung durch Diversity-Management oder die Durchsetzung einer umfassenden Inklusion mit dem Vorschein auf soziale Gleichheit und einen radikalen Humanismus?

9. Seminar: Ausgemalte Utopien

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Einladung zum Seminar am 24. September 2011. (PDF, 174 kB)

 

»Ausgemalte Utopien« – Aufstieg und Fall des linken politischen Wunschdenkens

 

Nach der Analyse der widersprüchlichen historischen und aktuellen weltweiten Entwicklung des Kapitalismus in den letzten beiden Seminaren fragen wir uns nun: Warum sehen die Menschen nicht die offenen Türen zu einer radikal humanen Gesellschaft – obwohl die Verhältnisse dafür herangereift sind? »Kommunismus – Er ist das Einfache, das schwer zu machen ist«?! (Bertolt Brecht)

In diesem Seminar analysieren wir bisherige Versuche, eine sozialistische, kommunistische oder egalitär-emanzipatorische Gesellschaft zu schaffen. Dabei stellen wir drei Beispiele vor: frühsozialistische Experimente im 19. Jahrhundert, die Rätebewegung und den Spartakus-Aufstand von 1918/1919 und die basisdemokratische portugiesische »Nelkenrevolution« von 1974.

Welchen sozialen Gehalt hatten frühere Kämpfe, Befreiungsversuche und Revolutionen? Konnten sie überhaupt andere als beschränkte Ziele haben? Warum sind sie gescheitert? An äußeren Faktoren wie z. B. Repression oder an inneren wie Reformismus und verkürzter Kapitalismuskritik z. B. durch Gewerkschaften oder Sozialdemokratismus?

Das Ausmalen einer Utopie, einer Blaupause als Vorstellung eines vollkommenen Gesellschaftszustandes bietet keine realistische Perspektive der Überwindung des Gegenwärtigen. Denn sie bleibt seinen Idealen blind verhaftet und knüpft nicht an »die wirkliche Bewegung« an, »welche den jetzigen Zustand aufhebt« (Karl Marx). Statt auf Utopie wäre zunächst auf das Prinzip Hoffnung zu setzen: »Wishful thinking und naiver Optimismus werden nur allzu leicht enttäuscht, da sie von der Wirklichkeit leichtfertig absehen (…). Aber Hoffnung lässt sich durch Rückschläge nicht entmutigen, sie wird vielmehr klüger, passt sich den veränderten Umständen an und ändert die Marschrichtung« (Ernst Bloch).

Führt der Wunsch nach einer Utopie gegen das bestehende Schlechte folglich unvermeidlich in die Irre?! Wo finden wir die »wirkliche Bewegung« mit dem Potential zur gesellschaftlichen Emanzipation? Und warum bestehen dennoch viele auf einer ausgearbeiteten neuen Gesellschaftsordnung, um mit zu machen bei der Suche nach einer besseren Welt?

8. Seminar: Weltweite Verelendung und antikapitalistischer Widerstand II

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Einladung zum Seminar am 23. Oktober 2010 (PDF, 363 kB)

Blindtext

Weltweite Verelendung und antikapitalistischer Widerstand II

Die Projektgruppe »Marxismus und Kritik der Politischen Ökonomie« organisiert aufgrund des steigenden Interesses an Kapitalismuskritik seit einiger Zeit in Köln Seminare und Einführungen zu grundsätzlichen theoretischen Fragen. Sie sollen jeder und jedem Interessierten eine Möglichkeit bieten, das politische Tagesgeschehen im antiautoritären marxistischen Sinne besser interpretieren und verändern zu können.

Im Zuge der Weltwirtschaftskrise tauchten sie zu Dutzenden wieder auf, die fantastischen bis reaktionären Ideen davon, wie der Kapitalismus friedlich in ein Paradies zu verwandeln sei. Wenn zum Beispiel attac inzwischen für seine »vorausschauende« Forderung nach einer Spekulationssteuer von allen Seiten gelobt wird, antineoliberale EtatistInnen sich über die Absichtserklärungen von der »stärkeren Regulierung der Märkte« freuen und Kapitalverbände zu einer notwendigen Besteuerung der großen Vermögen aufrufen – dann muss etwas faul an der »anderen Welt« sein, die vielleicht möglich, aber so nicht wünschenswert sein kann.

Und das ist es auch nicht. Die Reform- und Verbesserungsvorschläge aus der sozialdemokratischen Linken dienen in erster Linie der langfristigen politischen und ökonomischen Regulierung und der Sicherung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Es geht um die Modernisierung der kapitalistischen Ausbeutung und nicht um die Systemfrage, d. h. um die Abschaffung der Lohnarbeit. Wenn Menschen den so genannten Wohlfahrtsstaat glorifizieren und ihn ins Verhältnis zum Manchesterkapitalismus des 19. Jahrhunderts setzen oder – wie Lafontaine, Köhler und der Papst – den »soften Rheinischen« gegen den »brutalen US-Casino-Kapitalismus« hochhalten, sprechen sie nicht von zwei verschieden Dingen. Es ist jeweils das Gleiche – nur in unterschiedlichen Gewändern.

Marx, Engels, Lenin, Luxemburg und andere hatten in der Frühzeit der ArbeiterInnenbewegung damit begonnen, das Wesen des Kapitalismus herauszuarbeiten. Diese Analyse wurde und wird von anderen linken, darunter auch anarchistisch, feministisch und ökologisch orientierten TheoretikerInnen bis heute fortgesetzt. Die Merkmale des Kapitalismus ziehen sich durch seine gesamte Geschichte: Es geht um die konstante Steigerung der Warenproduktion, des Mehrwertes und des Profits – koste es an Menschen und Natur, was es wolle. Dabei kann der Kapitalismus durchaus unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen – mal ist er offen barbarisch, mal scheinbar menschenfreundlich – zumindest für einige. Er kann in seinem Kern jedoch nicht reformiert, sondern nur abgeschafft werden.

Ein aktuelles Beispiel für die Wandlungsfähigkeit des Kapitalismus ist der »Green New Deal«: Alte, etablierte Industrien verlieren zunehmend an Bedeutung und können nur durch massive staatliche Umverteilung am Leben erhalten werden (Automobilindustrie). Mit neuen Technologien und industriellen Umwälzungen (z. B. Gentechnik, Nanotechnologie, zentralisierte Energieversorgung aus regenerativen Quellen, Agrotreibstoff) soll die Akkumulation wieder in Schwung gebracht werden. Auch diese neue Erscheinungsform, ein ökoimperialistischer Euthanasiekapitalismus, wird wieder nur mit kriegerischen Mitteln durchzusetzen sein.

Wir wollen im Seminar an vier geschichtlichen Epochen des Kapitalismus das Wirken wichtiger »Stellschrauben« aufzeigen, wie das Wertgesetz, Konkurrenz und Produktivkraftentwicklung, den Klassenwiderspruch und den Staat als Klammer und Garanten der Produktionsweise. Ursache dafür, dass verschiedene Varianten des Kapitalismus entstanden sind, waren immer auch soziale und Klassenkämpfe. Sind die Aufstände in Griechenland, Mexiko und Indien Vorboten eines grundsätzlichen Systemwandels?

»… wenn die Demokraten die Regulierung der Staatsschulden verlangen, verlangen die Arbeiter den Staatsbankrott.« (Karl Marx: An die Mitglieder des Kommunistischen Bundes, MEW 7, S. 253)

Zeitplan

10.00 – 11.00 Uhr : Überblick über analytische Grundbegriffe der Kapitalismuskritik
11.00 – 12.00 Uhr : Der Manchesterkapitalismus im 19. Jahrhundert
12.00 – 13.00 Uhr : Mittagspause
13.00 – 14.00 Uhr : Der deutsche NS-Faschismus
14.00 – 15.00 Uhr : Die Hochzeit des Fordismus in den USA der 1950er Jahre
15.00 – 15.30 Uhr : Kaffeepause
15.30 – 16.30 Uhr : Das »Schwellenland« Mexiko und die imperialistischen Zentren
16.30 – 17.30 Uhr : Widerstand weltweit und Alternativen
17.30 – 18.00 Uhr : Auswertung und Ausblick/Zusammenfassung

4. Seminar: Dialektik, Krise(n), Imperialismus

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Dialektik, Krise(n), Imperialismus

Die gegenwärtige Politik wirft in vieler Hinsicht die Frage auf, wohin der Kapitalismus auf seinem Weg steuert, alles der Verwertungslogik unterordnen zu wollen. Deshalb ist es nach wie vor aktuell, die Geschehnisse auf dieser Welt im Einzelnen und Speziellen mit marxistischer Analyse lesen und begreifen zu können.
Wir wollen die Widersprüchlichkeit und Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse begreifen und zum Ausgangspunkt eigenen Denkens und Handelns machen. Daher beschäftigen wir uns während dieses Seminars unter anderem mit der Dialektik, wie sie Marx und Engels im Laufe ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit entwickelt haben. Ziel ist es, sich ein Werkzeug verfügbar zu machen, mit dem das weltpolitische Geschehen, im Marxschen Sinne, richtig analysiert und als prozeßhaft eingeordnet werden kann. Mit Hilfe der Dialektik gilt es, sich gegen mechanistische Auffassungen in der Linken und anderswo zu wappnen.

Danach wollen wir die allgemeine und die zyklischen Krise(n) des Kapitalismus genauer unter die Lupe nehmen. Bezugnehmend auf aktuelle Beispiele soll verdeutlicht werden, warum es im Kapitalismus immer wieder zu zyklischen Krisen kommen muss. Erscheinungsformen dieser Krisen sind unter anderem Massenarbeitslosigkeit, Crashs, verschärfte Konkurrenz und eine Politik des Staates, die helfen soll, in den Betrieben eine Steigerung der Mehrwertrate durchzusetzen. Die Existenz dieser zyklischen Krisen wird auch von bürgerlichen Ökonomen nicht bestritten, schließlich sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache. Nur die ökonomischen Ursachen bleiben für die bürgerlichen Ökonomen nicht erklärbar bzw. sie ergehen sich in verqueren Theorien, um das Gesellschaftssystem nicht in Frage stellen zu müssen. Es wird zum Beispiel immer wieder gern behauptet, wenn der Markt nur sich selbst überlassen wäre, dann würde er auch alles zur Zufriedenheit aller regeln. Am Ende wollen wir zu den Ursachen vordringen, die im System selbst liegen, und die nur durch die Abschaffung des Kapitalismus selbst beseitigt werden können. Damit wird gleichzeitig auch der allgemeinen Krise des Kapitalismus die Grundlage entzogen.

Angesicht der Angriffskriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak wurde innerhalb der Linken in Frage gestellt, dass die klassische Imperialismustheorie als Erklärung der Ursachen und Antriebe dieser Überfälle noch tauglich ist. Auch in der »Antiglobalisierungsbewegung« wird nicht mehr vom kapitalistischen Weltmarkt gesprochen und die abnehmende Bedeutung der Nationalstaaten behauptet. Statt dessen gebe es ein »Empire«, ein subjektloses internationales Machtgeflecht. Ausgehend von der Marxschen Beschreibung des weltweiten kapitalistischen Systems und mit einem kritischen Zwischenstopp beim verkürzten Leninschen Imperialismusbegriff wollen wir analysieren, wie gerade die aktuelle Entwicklung zeigt, dass die zunehmende Internationalisierung der kapitalistischen Produktionsweise (»Globalisierung«) zu einer verschärften innerimperialistischen Konkurrenz führt: Das Ringen um Rohstoffe, Märkte, Verfügung über Arbeitskraft etc. bestimmt die internationale Politik im »Krieg« und im »Frieden«.


Zeitplan

Freitag  
18.00 – 19.00 Uhr Abendessen
19.00 – 21.30 Uhr Darstellung der Entwicklung des Kapitalismus (mit Hilfe von Schautafeln), wiederholen der bisher erarbeiteten Grundbegriffe
   

Samstag

 
bis 10.00 Uhr Frühstück
10.00 – 12.30 Uhr

Dialektik als allgemeine Erkenntnismethode

12.30 – 13.30 Uhr Mittagessen
13.30 – 15.00 Uhr

Dialektik als allgemeine Erkenntnismethode

15.00 – 16.00 Uhr

Kaffee und Kuchen

16.00 – 18.00 Uhr

Die allgemeine und zyklischen Krise(n) des Kapitalismus

18.00 – 19.00 Uhr Abendessen
19.00 – 21.00 Uhr

Die allgemeine und zyklischen Krise(n) des Kapitalismus

   

Sonntag

 
bis 10.00 Uhr Frühstück
10.00 – 12.30 Uhr

Kapitalismus weltweit und der Imperialismusbegriff

12.30 – 13.30 Uhr

Test; Reflexion; Ausblick

13.30 – 14.30 Uhr Mittagessen, Packen, Abreise